Heute wird es düster. Ich folge den Spuren von Gesche Gottfried, und lande dabei im Knast. Ob ich wohl wieder rauskomme? Ein bisschen Bammel habe ich ja schon.
Wache bei Wagenfeld

Zeichnung der alten Ostertorwache
Idyllisch in den Wallanlagen gelegen, sozusagen zwischen Kunsthalle und Theater, stehen sich zwei markante Gebäude gegenüber: Das Gerhard-Marcks-Haus und das Wilhelm Wagenfeld Haus.
In Letzterem bekam man von der umgebenden Idylle aber nicht immer etwas mit. Direkt an den Toren der Stadt – dem Ostertor – wurde dort 1828 ein Gefängnis sozusagen eröffnet. Heute erinnert die Dokumentationsstätte Gefangenenhaus Ostertorwache an die wechselvolle Geschichte des Hauses. Vorne geht es also heute zu schönen Wagenfeld-Leuchten, im rechten Seitenflügel zu kalten Funzeln, in die kalte Atmosphäre des in seiner Ursprünglichkeit erhaltenen Zellentraktes. Passend zum kalten Tag, brrr.

Die Ostertorwache im Wilhelm Wagenfeld Haus
Rechter Hand werde ich gleich von einer beklemmenden Figur begrüßt. Gewidmet den hingerichteten Freunden, von Fritz Cremer.
Hinrichtungen – das wirkt für mich so weit weg. Meine Generation in Deutschland hat mächtig Glück gehabt, im Frieden aufzuwachsen. Und weil ich immer schön brav war, wurde ich auch meiner Freiheit – einem der höchsten Güter – nie beraubt. Aber die Nachrichten erinnern täglich daran, wie aktuell das Thema ist.

Figur am Eingang zur Wache, gewidmet von Fritz Cremer
Zellen mit sehr langer Geschichte
Zugänglich ist der Zellentrakt im Parterre. Zum Gefängnis gehörten auch Kellerräume, diese können aber nicht besichtigt werden. Ich erinnere mich allerdings an eine Veranstaltung in den Kellergewölben. Ob das wohl auch zum Knast gehörte? Die Geschichte war mir gar nicht so bewusst. Man gut, sonst hätte der Sekt auch nicht mehr so gemundet.
An den Wänden und in einigen Zellen erfährt man einiges über die Geschichte des Hauses insgesamt, und über persönliche Geschichten.
Im Detentionshaus, wie es auch genannt wurde, war Überbelegung keine Seltenheit. Und mangelnde Hygiene. Spannend finde ich vor allem den Aktenvermerk von 1876 zur Verpflegung, schließlich denke ich andauernd ans Essen: „Die Gefangenen bekommen täglich pro Kopf 3/4 Kilo Rockenbrot, morgens Kaffee mit Milch und zwar pro Kopf 6 Gramm Kaffee und für 1 1/2 Pfennige Milch, ferner Mittags Löffelspeise ohne Fleisch und Abends heißes Wasser, in welches die Gefangenen für gewöhnlich Brot einbrocken und das gehörige Quantum Salz dazu nehmen. Das Mittagessen, mit welchem gewechselt und zwar so, daß nach schwerer Speise leichte verabreicht wird, besteht für gewöhnlich in Bohnen, Erbsen, Linsen, Reis, Graupen, Wurzeln, Steckrüben, Hundskohl, Scherkohl, braunem Kohl etc. und richtet sich die grüne Waare überhaupt nach der Jahreszeit.“

In den Zellen der alten Ostertorwache

Bitte ab sofort keine Kanne mehr in Zelle 6 geben!
Viele Gefangene wurden nur wenige Tage eingesperrt, einige aber auch jahrelang. Von der Sozialdemokratin Marie Mindermann, die einige Tage wegen Beleidigung der Obrigkeit einsaß, weiß man recht viel; sie verfasste eine Schrift über das Erlebte. Maler Meier bekam ein „Grüne Bohnen-Trauma“. Und die Prostituierte Gerhardine beklagte die hygienischen Zustände. Aber was wohl der Trunkenbold und Zigarrenmacher Lürssen erlebte? Wer weiß es …
Auch schulpflichtige Jungen und Mädchen lernten das Gefangenenhaus seit Mitte des 19. Jahrhunderts kennen, wenn sie wiederholt die Schule versäumten und die Eltern die Geldbuße nicht zahlen konnten. Pädagogisch ungemein wertvoll. Bedingt durch die politischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik wurden auch politische Gefangene inhaftiert. In einigen Jahren der Nazizeit wurde das Haus vornehmlich für den Polizeigewahrsam – und nebenbei zur „Behandlung“ von Menschen durch die Gestapo – genutzt, und zum Ende des Krieges mit Zwangsarbeitern („Hier pinkelte der Pole Stefan Javon“) belegt. Aber auch nach dem Krieg war die Unterbringung katastrophal. Frauen mussten sich in den Kellerräumen oft die Betten teilen, waren mit Geschlechtskrankheiten und Ungeziefer verseucht. Später dann wurde das Gefangenenhaus für Menschen in Abschiebehaft genutzt. Bis Mitte der 1990er Jahre. Eine 170jährige Gefängnis-Geschichte mündete 1998/1999 in der Umgestaltung zur Dokumentationsstätte.

Gesche Gottfried mit schlechten Aussichten
Eine der in Bremen bekanntesten Insassinen war Gesche Gottfried. Die Giftmörderin verbrachte ihre letzten drei Lebensjahre dort, bis sie als letzte Person 1831 vor dem Dom öffentlich hingerichtet wurde.
Gesche war eine Serienmörderin, 15 Personen hatte sie auf dem Gewissen. Eigentlich nahm man Mäusebutter, um der Mäuseplage Herr zu werden. Doch auch Menschen konnte man damit beseitigen. Das Arsen vergiftete die Opfer nach und nach, die dadurch sehr litten und von Gesche wiederum gepflegt wurden. Man nannte sie auch „Engel von Bremen“. Die Motive für ihre Taten sind bis heute nicht bekannt.
Ich gehe zurück durch den kalten Gang, und mache mich auf den Weg zum Ort der Hinrichtung.

Gang mit den Zellen in der Ostertorwache
Polizei und Gerichtshaus
Auf meinem Weg vom Ostertor in Richtung Dom komme ich am alten wuchtigen Polizeihaus vorbei, in dem man heute Suppe essen und Bücher ausleihen kann. Also eigentlich das, was man im Knast auch bekam, denn dort gab es einen Bücherverleih. Gleich daneben befindet sich das historische Landgericht, gegenüber das Amtsgericht aus jüngerer Zeit. Über Brücken sind die Gebäude miteinander verbunden. Und wie in jeder Stadt gibt es irgendwo eine solche Brücke, der man den Namen „Beamtenlaufbahn“ gibt. Kommt aber auch immer wieder gut an.

Von Seufzerbrücken und Beamtenlaufbahnen
Am Amtsgericht quälen sich nackte Menschen in und aus einer grauen Wand, während schräg gegenüber die Justitia streng hinunterschaut. Unter ihr geht es übrigens zur Gaudi ins Hofbräuhaus Bremen. Wo wir wieder bei den Trunkenbolden wären.

Justiz und Justitia
Gleich um die Ecke erinnern goldene Inschriften am Landgericht an die 10 Gebote. Man braucht dafür eine gute Brille – oder ein gutes Objektiv. Zu Gesches Zeiten gab es dieses Gebäude aber noch nicht. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass die Gebote ihr dort oben sehr imponiert hätten.

Das Landgericht Bremen mit den 10 Geboten

Du sollst nicht toedten
Gesche und der Spuckstein
Im Jahr 1831 war es also so weit, Gesche wurde zum Schafott geführt und geköpft. An dieser Stelle weisen die vier Steine auf diese tragische Geschichte, diese tragische Frau hin. Auf die Steine spucken die BremerInnen, wenn sie ihre Abscheu demonstrieren möchten.

Der Spuckstein am Bremer Dom

Der Spuckstein auf dem Grasmarkt, im Hintergrund der Marktplatz
Das Ergebnis ist nicht wirklich schön. Und an Markttagen ist der Stein manchmal von Fahrzeugen verdeckt. Damit ihr die Stelle besser findet, habe ich euch den Standort noch einmal mit Blick zum Marktplatz aufgenommen.
Mehr zur Geschichte dieser Frau erfahrt ihr in der tollen Graphic Novel „Gift“. Oder in einem der Filme und Beiträge auf Youtube, die ich aus rechtlichen Gründen nicht einbetten kann.
Einen Film habe ich aber auf Vimeo gefunden, den ich gerne zeigen möchte, auch wenn das Startbild mehr als unappetitlich ist. Ich kann sagen: Es bleibt nicht so. Erstellt wurde der Film vom Medienlabor.
Auf den Spuren einer Giftmörderin
In Bremen könnt ihr immer noch auf Gesche Gottfried treffen, unter anderem hier:
- Bremer Geschichtenhaus – erlebt Gesche ganz persönlich!
- Gruppenführung „Bremens düstere Seiten“ mit Besichtigung der Ostertorwache
- Gruppenführung „Das Gift der Gesche Gottfried“ von Kultur vor Ort
- Als Theater-Aufführung bei Mensch Puppe
- Ihre Totenmaske findet ihr im Focke-Museum
- In der Ostertorwache jeden 1. Samstag im Monat oder nach Vereinbarung (Tel. 0421 / 361 4452)
- … oder ihr spuckt auch mal, denn das dürft ihr offiziell am Spuckstein. Ein Spaß für jedes Kind.
Kennt ihr weitere Angebote zu Gesche Gottfried? Dann freue ich mich über Tipps im Kommentarfeld.
Toller Beitrag, wieder was gelernt.
Das freut mich sehr!